
(Fotoquelle: Douzeff, CC BY-SA 3.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0>, via Wikimedia Commons, unverändert)
Es ist gerade zwei Wochen her, als eine sowjetische Fliegerbombe in Templin gefunden und auf spektakuläre Weise gesprengt wurde. Die Sprengung im Templiner Stadion weckt bei Zeitzeugen Erinnerungen, sorgt aber bei vielen Templinern auch für Verwirrung. Denn bekannt war bis jetzt nur der Angriff am 6. Marz 1944 durch amerikanische Flieger. Woher kam also diese sowjetische Bombe? Muss nun die Stadtchronik neu geschrieben werden?
Die Antwort ist: Jein. Schon in der Chronik des Chronisten-Trios Bärbel Makowitz, Eitel Knitter und Martin Kunze steht, dass das Vordringen der Roten Armee auf Templin von sowjetischen Fliegerangriffen begleitet war und am 26. April 1945 von mittags bis abends „russische Flieger“ angriffen. Dennoch war von sowjetischen oder „russischen“ Bomben bis dato kaum die Rede. Erst nach der Sprengung werden nun Augen- und Zeitzeugenaussagen veröffentlicht. Aussagen, die es vielleicht nicht mehr gegeben hätte, wenn die Bombe noch weitere Jahre oder gar Jahrzehnte unter der Stadiontribüne gelegen hätte.
Die Templiner Chroniken ermitteln
Am 16. Februar berichtet die Templiner Zeitung, dass Frau Makowitz in Zusammenarbeit mit anderen Chronisten die Ereignisse rekonstruieren möchte. Und so beginnt das Chronisten-Ermittler-Team seine Arbeit, sucht Zeitzeugen und stöbert in den Archiven. Erste Ergebnisse dieser Arbeit werden in der Templiner Zeitung beschrieben.
Da ist zum Beispiel Dieter Krüger, ein gebürtiger Templiner und Mitarbeiter im Museum Brandenburg. Er berichtet, dass zu DDR-Zeiten in der „Freien Erde“ (Vorgängerzeitung des Nordkurier im Bezirk Neubrandenburg) eine Dokumentation zur Befreiung des Bezirkes Neubrandenburg erschien. In dem Artikel stand, so erinnert sich Krüger, dass Tiefflieger auch über Templin im Einsatz waren. Sie sollen Transportzüge auf dem Hauptbahnhof (heute Bahnhof Templin) und auch Menschenansammlungen beschossen haben. In der Chronik des oben genannten Chronisten-Trios steht, dass im April ‘45 auf dem Hauptbahnhof alle 20 Meter Seeminen zur Sprengung verlegt wurden und auch ein Transportzug mit Seeminen dort stand. Heute kann man von „Glück“ reden, dass die Minen und dieser Zug nicht bei einem der Angriffe getroffen wurden.
Ilse Lobedan kann sich an Überflüge über die Flüchtenden in den letzten Kriegstagen erinnern. Sie hat den Krieg damals selbst erlebt und ist eine der wenigen Zeitzeugen von damals. Und bei der Templiner Zeitung hat sich eine weitere Zeitzeugin gemeldet, Helga Meineke. Sie ist inzwischen 82 Jahre alt und lebt nun in Zepernick. Auch sie beschreibt sehr eindringlich die letzten Kriegstage in Templin und die Angst vor den Tieffliegerangriffen.
Die letzten Kriegstage in Templin
Bei meinen Recherchen nach Zeitzeugen wurde mir durch meine Bekannte, Cosima Griese, der WhatsApp-Schriftverkehr zwischen ihr und Ihrem Bruder Horst Brand (91 Jahre) zugespielt. Die Erinnerungen von Horst Brand geben ein sehr detailliertes Bild von den letzten Kriegstagen wieder. Nachdem ich mich nun mit der Schwester getroffen habe, möchte ich nun gern das Gehörte teilen.
Horst Brand lebt nicht mehr in Templin und hat von seiner Schwester Cosima ein Foto der Sprengung der Bombe im Templiner Stadion bekommen. Er erinnert sich. Es war im April 1945. Horst Brand steht mit seinem Vater im Garten. Er hat ein Fernglas dabei, weil er gerne Flugzeuge beobachte. Später wollte er einmal Pilot werden. Er schreibt per WhatsApp an seine Schwester:
„Guten Morgen. Ich kann nicht genau erkennen, wo die Bombe gesprengt wurde. Ich erinnere mich aber an den Angriff. Das war zwei oder drei Tage vor dem Einmarsch der Roten Armee. Papa und ich waren im Garten meines Großvaters. Im Nachbargarten fiel auch eine Bombe. Der Garten war in der Nähe des alten Schützenhauses. Dort am Abhang zum Kanal hin. Vater bekam von der Bombe ein paar kleine Splitter ab. Eine weitere Bombe fiel auf das Dach des Hauses, wo die Kneipe „Scharfe Ecke“ drin war. Wo wurde sie nun gesprengt?“

Horst Brands Vater stand oben am Ende des Gartens in der Nähe des Waldrandes. Horst Brand selbst befand sich ganz in der Nähe der Gartenlaube, als er durch einen Aufschrei des Vaters hörte, dass irgendetwas passiert sein müsste. Er versorgte seinen Vater in der Gartenlaube, desinfizierte die Wunde am Arm und verband diese. Er hatte wohl mehrere Splitter abbekommen.
Horst Brand bekommt die Antwort der Schwester, dass die Bombe im Stadion gesprengt werden musste. Übrigens, die Gaststätte, die vielen Templinern noch in Erinnerung ist, hieß damals „Zur Deutschen Ecke“.
Nach einer weiteren Rückfrage, ob es sich wirklich um die Gaststätte „Zur Scharfen Ecke“ oder die gegenüberliegende Gaststätte „Zur Mühle“ handelte, schreibt Horst Brand dann weiter:
Kleine Bomben aus der Sowjetunion
„Liebe Cosima, zu der Frage, ob es die Scharfe Ecke oder der Gasthof Zur Mühle war, wo die Bombe einschlug, zunächst eine Erklärung. Aus der Kriegsliteratur geht hervor, dass für die Luftaufklärung von der Roten Armee Doppeldecker eingesetzt wurden. Unser Vater erzählte mir, dass, als er in Dnjepropetrowsk eingesetzt war, auch sowj. Doppeldecker Bomben auf den von der Wehrmacht genutzten Flugplatz abgeworfen haben. Er musste mit seiner Brigade dann sofort die Schäden an den Startbahnen beseitigen. Er sagte mir, dass die Schäden pro Bombe nicht sehr groß waren. Nur die Menge machte ihnen zu schaffen. Und so war es bei diesem Angriff in Templin auch. Ich habe gleich nach dem Abflug der sowj. Doppeldecker mir den Bombenkrater im Nachbargarten angesehen. Zwischen zwei bis drei Meter im Durchmesser und 50-60 cm tief. Das ist auch ein Erinnerungswert. Im Wesentlichen ist festzustellen, dass die Bomben eine wesentlich geringere Sprengkraft hatten als die, die die Amerikaner bei ihrem Angriff auf Templin abwarfen. Die Krater dieser Bomben waren fünf bis sechs Meter breit und ebenso tief. Ist aber auch ein Erinnerungswert. Aber auf jeden Fall kann man die Auswirkungen nicht vergleichen. Nun zum Einschlagsort. Es war die Scharfe Ecke. Viele Dachziegel waren vom Dach gefallen und Fenster waren zersplittert. Aber den Außenwänden sah man damals nichts an. Zumindest die zur Straße zeigten. Ob was im Hof passiert ist, es Tote oder Verletzte gab, weiß ich nicht. Die Schäden wurden aber schnell beseitigt. Ich glaube noch 1945.

Rote Sterne am Rumpf
Noch eine kurze Erklärung. Mit meinem damaligen Fernglas waren die roten Sterne am Rumpf und den Tragflächen eindeutig erkennbar. Allerdings konnte ich nicht feststellen wie viele Flugzeuge es waren, weil diese scheinbar mehrfach über der Stadt kreisten.“
Schaut man sich die Chronik des schon genannten Chronisten-Trios an, so sind in dem Stadtplan von 1928 des Stadtbaumeisters Schneider, von den Chronisten Zerstörungen durch Bomben und Brandstiftung sowie Beschuss eingezeichnet. Das Gasthaus „Scharfe Ecke“ ist nicht dabei. Wahrscheinlich, weil durch den von Horst Brand benannten Bombentreffer das Gebäude nicht allzu stark in Mitleidenschaft gezogen war.
„Schlechte Kommunisten“
Die Schwester Horst Brands erzählt weiter aus den Erinnerungen Ihres Bruders: „Die Familie des Vaters, ca. 10 – 15 Personen, befand sich zum Zeitpunkt des Einmarsches der Roten Armee in Templin im Haus Schulzenstraße Nr. 9 (heute Schinkelstraße mit gleicher Nummer). Ein Klopfen an der Haustür war zu vernehmen. Beim Öffnen standen zwei Angehörige der Roten Armee vor der Tür. Sie kamen ins Haus und fragten, ob sich im Haus Nazis befänden. Das wurde verneint und der Schwiegervater meines Vaters sagte, sie wären Kommunisten. Darauf antwortete einer der Beiden, dass sie das immer hören würden. Schnell holte der Schwiegervater des Vaters aus dem Schrank zwei Mitgliedsbücher der KPD hervor. Der Ranghöhere der Beiden nahm die Bücher und sichtete diese. Anschließend stellte er fest, dass sie schlechte Kommunisten wären, denn sie hätten mehrere Jahre keinen Mitgliedsbeitrag bezahlt. (… was ja von 1933 an nicht mehr möglich war)
Durch die Mitgliedschaft der beiden kommunistischen Familienmitglieder, wurde dieses Haus künftig in Ruhe gelassen. Etwas später mussten jedoch alle dieses Haus verlassen und die Rote Armee übernahm das Gebäude.“
Eine weitere Bombe
Ich selbst bin noch zu jung, um den Krieg miterlebt zu haben. Aber es gibt ein Ereignis in meiner Vergangenheit, dass ebenfalls die These mit den Tieffliegerangriffen untermauert. Es ist ein weiterer Bombenfund – vor mehr als 30 Jahren. Damals war es ebenfalls eine sowjetische Fliegerbombe. Sie wurde in der Hans-Sachs-Straße gefunden und gegenüber von Karlshof 2 gesprengt. Und mein Schützenfreund Roland Aschoff bestätigte mir, dass um 1990/1991 bei Bauarbeiten an der Vietmannsdorfer Straße Ecke Hans-Sachs-Straße eine sowjetische Bombe dicht unter der Oberfläche gefunden wurde. Ich bringe diese beiden Geschichten zusammen, da ich von 1989 bis 1991 in Karlshof 2 bei meiner damaligen Freundin viel Zeit verbrachte und dort auch einen Teil der Geschehnisse der Sprengung mitbekam. Und jetzt durch diese Erinnerung schließt sich der Kreis.
Parallelen zu heute?
Ich war erst im Zweifel, ob es jetzt überhaupt der richtige Zeitpunkt ist, über den Bombenfund zu berichten. Über eine sowjetische – also quasi russische Bombe auch noch. Gibt es Parallelen? Damals erlebten auf allen Seiten die Menschen viel Leid. Dass es in Europa wieder zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommen würde, hätte ich nach dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien nie für möglich gehalten. De Gaulle und Adenauer haben damals ein Zeichen gesetzt, damit der Weg zum Frieden in Europa ein dauerhafter ist. Willy Brands Kniefall in Warschau vor über 50 Jahren war ein weiteres dieser Zeichen. Ich möchte auch keine Wertung abgeben und hoffe nicht, damit sich Hass gegenüber einer der beteiligten Parteien hochschaukelt. Damit hätte keiner etwas gewonnen.
Ich hoffe, dass der Konflikt in der Ukraine ein Ende hat und wenigstens die Möglichkeit von Gesprächen wahrgenommen wird. Denn wenn ich weiterhin von Bomben berichten sollte, dann hoffentlich nur aus historischer Sicht.

Autor: Heiko Stempel
Ich bin Heiko Strempel, geboren im Krankenhaus Templin. Die ersten 9 Jahre und die bis jetzt letzten 16 Jahre lebte bzw. lebe ich in Vietmannsdorf. Dazwischen war ich auch mal waschechter Templiner. Die Geschichte Templins ist das, was scheinbar unerschöpflich ist und neue oder vergessene Teile dieser Geschichte zu entdecken ist Ansporn genug. Und diese Geschichte gilt es niederzuschreiben und auch zu teilen. Übrigens ist meine wahre Heimat Vietmannsdorf auch ein geschichtsträchtiger Ort, denn ich lebe dort, wo die Markgrafen vor hunderten von Jahren immer wieder Quartier nahmen.
Lieber Heiko, vielen Dank für deinen lesenswerten Beitrag, auch und insbesondere für den letzten Absatz. Sehe das genau wie du. Herzliche Grüße, Patrick
Danke Patrick, man kann eigentlich von Glück sagen, dass man viele Ereignisse nur aus der Zukunft betrachten kann, ohne direkt dabei zu sein. So auch die Ereignisse im 2. Weltkrieg. Allerdings sehen wir jetzt wieder, dass diese Komfortzone auch recht schnell zerplatzt und man auch heute noch wieder mit einem nahen Krieg konfrontiert wird. Hoffen wir mal, dass das alles gut ausgeht. Viele Grüße aus Vietmannsdorf, Heiko
Hallo Herr Strempel, eine gelungene Darstellung und Ergänzung der damaligen Ereignisse in Templin. Sehr anschaulich die beigefügten Fotos. B. Makowitz
Werte Frau Makowitz, vielen Dank. Die Kleinigkeiten finde ich immer sehr interessant. Gruß. Heiko Strempel
Hallo Heiko,
Du kennst mich und weisst, ich bin nicht aus Templin sondern aus Kurtschlag und wohne seit 86 in Berlin. Habe aber viel Zeit meiner Kindheit in Vietmannsdorf verbracht und Templin war für uns vom Dorf immer eine schöne Stadt zum Einkaufen und Bummeln gehen. Darum ist es auch für mich total interessant, was Du in diesem Beitrag schreibst… Die Vergangenheit hat uns alle geprägt und wir sollten sie nicht vergessen. Unsere Generation hat, Gott sei Dank, noch keinen Krieg miterleben müssen. In Gedanken bin ich bei den Menschen in der Ukraine.
Karla Grundl geb. Kulicke
Liebe Karla, das freut mich, dass Dich die Geschichte Templins interessiert. Deinen Worten im letzten Teil kann und muss ich zustimmen. Ich hoffe, dass das auch bald Geschichte ist. Die Menschen sind leider immer die leidtragenden… Gruß nach Berlin. Heiko